Versuch über den Lektor

Lek⋅tor, plural: Lek⋅to⋅ren, weibliche Form: Lek⋅to⋅rin – ein Wesen mit proteischen Qualitäten.

In seiner ersten, fernen Gestalt trat er mir als der Cherub des Verlagsparadieses entgegen, der mit seinem lodernden Flammenschwert turmhohe Papierstapel in Aschehäufchen verwandelt. Gerüchte gingen um unter denen, die unermüdlich ihre Manuskripte diesem Feuer zum Fraß vorwerfen: Du musst Schreibseminare belegen, du musst dich an Literaturwettbewerben beteiligen, dort kannst du ihn treffen, den Lektor, in menschenähnlicher Gestalt.

Vorlektorat

Und dann kam der Tag, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnete – in der Gestalt des Hoffnungsträgers an einem nüchternen Konferenztisch. Er sollte mich loben und preisen, sollte meinem Werk das tiefste Verständnis entgegenbringen, sollte sich für jedes Detail interessieren, sollte kluge Kritik üben, aber bitte nur gerechtfertigte und nachvollziehbare.

In dieser Situation zwischen Jobinterview, Parship-Date und arrangierter Hochzeit hat der Lektor das Zeug zur ersten allgemeinen Verunsicherung.

Warum schreiben Sie die ganze Geschichte nicht einfach in der ersten Person? Ja, warum nicht? Weil ich mich schon vor 300 Seiten dagegen entschieden habe. Denken Sie über die Spannungsbögen nach. Da könnte mal ein schönes Buch draus werden. Und was ist es jetzt? Ein Steinbruch, eine Materialsammlung, ein grober Entwurf? Lautliche Assoziationen drängen sich auf: Lektor, leck schlagen, leck mich … Voilà, hier ist er in seiner wertvollsten Gestalt: als Advokatus Diaboli. Danke. Voller Ernst.

Feinlektorat

Da wandelte sich das Wesen wieder, nicht nur in Person und Geschlecht. Sie war die Rechtschreibfüchsin, Kommafresserin und Konsistenzpäpstin, die Leitwölfin aller Korrekturleser, Nochmalleser, Undnochmalleser. Durch das Gewitter des Vorlektorats gestählt, war ich auf alles gefasst, allein die gröberen Einschläge blieben aus.

Noch rätsle ich, ob der gute Advokatus D. einfach ganze Arbeit geleistet hat, oder ob da noch Dinge sind, die besser nicht so geblieben wären …

 

 

Coverstory

Neulich bei einem Bekannten, der seit nicht allzu langer Zeit Inhaber eines Weinguts ist, saßen wir am Tisch und drehten Flaschen. Nein, nicht dieses Teenager-Spiel … Wir drehten seine Flaschen hin und her und sinnierten über die Etiketten. Er will sie nämlich ändern.

Sie sollen ausdrücken, wofür das Weingut steht, aus der Menge herausstechen und doch die Weine als Vertreter einer bestimmten Qualitätsklasse erkennbar machen. So weit, so gut, wäre da nicht noch die vermaledeite Geschmacksfrage. Bezüglich Etikett, meine ich.

Find ich schön, find ich blöd, find ich gut, find ich grässlich … ich mein ja nur … geht gar nicht … ich würd’s aber so und so machen!

Fragt man drei Leute, bekommt man vier Antworten. Mindestens. Fragt man dreißig oder dreihundert oder dreitausend schärft sich das Bild. Aber das wäre dann schon Marktforschung, und Marktforschung ist was für Großkonzerne. Genauso wie professionelles Branding. Die meisten anderen greifen doch lieber aufs persönliche Bauchgefühl zurück.

Und Autoren erst recht! Wollt Ihr mal meine selbst zusammengestümperten Entwürfe fürs Buchcover sehen? Wahre Paradebeispiele für „ich hab da mal so eine Idee“, aber leider alle daneben, irgendwo zwischen Münsterblatt und Uni-Taschenbuch:

Was dann ein echter Profi wie Christiane Hemmerich draus gemacht hat, dafür gibts nur ein Wort: Hammergeil!

Blurbs vom Blockbuster

Ich spiele ja nicht gerne. Aber es gibt eine Ausnahme: das lustige Gesellschaftsspiel Tabu, bei dem man Begriffe beschreiben muss, ohne bestimmte Wörter zu verwenden.

Nehmen wir mal an, ein berühmter Schriftsteller hätte sich wohlwollend über mein Roman-Manuskript geäußert, aber ich dürfte auf keinen Fall verraten, was er gesagt hat, weil nach Angaben des berühmten Verlags der Mann „grundsätzlich keine Blurbs zu anderen Büchern abgibt“. Stellen wir uns weiter vor, dass mir dieser Mann jüngst auf der Leipziger Buchmesse sehr freundlich lächelnd abermals erklärt hätte, dass er sich sehr wohl erinnere und dass das Projekt ihm sehr wohl gefallen habe.

Achtung: Tabu! Leider verloren.

Und jetzt noch eine Quizfrage: Was ist der Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Amerikaner auf Entzug? Wo der eine „weiße Mäuse“  sieht, sieht der andere pink elephants. Daraus kann man jetzt zum Beispiel einen Roman machen, in dem echte rosa Elefanten und echte Alkoholiker auftauchen. Echt.

 

Spieglein, Spieglein

Schreiben ist eine schöne künstlerische Tätigkeit, weil man dabei selbst nur sehr mittelbar in Erscheinung tritt. Bis zu dem Tag, an dem der Verleger sagt, er bräuchte da mal ein Foto für den Verlagskatalog und für die Pressearbeit und überhaupt.

Also erstmal die eigene Foto-Library durchforstet und festgestellt, dass ich auf den 10.000 Bildern der letzten zwei Jahre gerade mal 100 mal zu sehen bin, davon zu 98% mit mindestens einem Kind im Schlepptau. OK.

Bevor ich zu sehr ins Grübeln gerate, was das über mein gegenwärtiges Leben aussagt, schnell drangesetzt und recherchiert, wie sich denn die anderen Schneewittchen hinter den sieben Bergen so präsentieren.

Es treten auf: das bedeutungsschwangere Schwarz-weiß-Klischee mit in die Ferne schweifendem Blick, die Hipsterin in ihrem urbanen Habitat (das muss doch Berlin sein, mindestens?), gerne auch im total angesagten Depri-Look. Ganz beliebt auch: die Hand im Gesicht – unter dem Kinn, an der Wange, einhändig oder beidhändig. Und nicht nur im Self-publisher-Bereich zu finden: mit den Insignien der Schriftstellerei ausgestattete Geschöpfe, vor dem Bücherregal, hinter der Schreibmaschine oder gleich mit dem Füller in der Hand.

Für einen Moment überlege ich, ob es vielleicht cool wäre, mich mit Hammer, Meißel und Marmorplatte ablichten zu lassen, verwerfe den Gedanken aber als unauthentisch…

Eine Dame aus den vorderen Reihen der deutschen Autorenschar erregt meine besondere Aufmerksamkeit. Nicht nur die erkleckliche Menge an Anschauungsmaterial, das es von ihr gibt, macht sie zu einem interessanten Studienobjekt. Mir fällt auf, dass sie fast auf jedem Foto die verschiedensten Abstufungen von Blau trägt, wegen der Augenfarbe, klar. Ich muss lächeln, denn mein Held Harald macht das ganz genauso… Aber es geht noch besser: das Cover ihres neusten Buches und das Design der dazugehörigen Webseite – alles blau, bläulich, verblaut, eingebläut.

Mir gegenüber sitzt Anja Limbrunner, die sensationelle Porträtfotos machen kann, und lächelt auch, allerdings eher still in sich hinein, während sie geduldig meinen Ausführungen über an die Wand gestellte Menschen – wahlweise vor Sichtbeton, groben Holzbrettern oder Natursein – lauscht.

Und was soll ich bloß anziehen, das neue rostrote Kleid? Aber sehe ich darin nicht zu blass aus? Und wäre was Blaues nicht doch besser, schon wegen der Augen? Und ich muss unbedingt zum Frisör. Und zur Kosmetikerin, wo ich zuletzt und zum ersten Mal kurz nach meinem 40. Geburtstag war, weil mir wohlmeinende Freunde einen Gutschein zukommen ließen. Natürlich muss ich viel schlafen, keinen Alkohol trinken…

Und dann sagt sie: „Der Hintergrund und das Drumherum ist eigentlich egal. Es geht um deine Persönlichkeit.“

Ach du blaue Neune, denke ich. Was, wenn sich in bester Dorian-Gray-Manier mein Inneres nach außen kehrt? Will das jemand sehen? Oder noch schlimmer, will ich, dass das jemand sieht?


Foto: Anja Limbrunner

Drei Nüsse für Schreibbrödel

Erst dachte ich, ich fände keinen Verlag, und dann dieses Schlamassel…

Neben dem gemeinhin als aussichtslos gebrandmarkten Weg des Unaufgeforderteingesandtenmanuskripts, gibt es noch eine zweite Sache, von der einer kommenden Romandebütantin mit äußerster Vehemenz abgeraten wird: auf der Buchmesse mit einem Manuskript in der Tasche Verlage belästigen.

Also bin ich damals ohne nach Frankfurt gefahren, ich hatte ohnehin erst 70 Seiten. Und ich unterhielt mich nur mit einem einzigen Verleger, den ich mir vorher ausgeguckt hatte, weil es in dessen Programm ein Buch gab, über das sich geschickt zu meinem Thema überleiten ließ. Der wollte natürlich gleich mein Manuskript sehen.

Und da war sie, die erste Nuss, die das unscheinbare Schreibbrödel in eine echte Schriftstellerin verwandeln sollte!

Leider war das Gewand, das dieser ersten Nuss entsprang, nur unvollständig und verlangte nach einer finanziellen Eigenbeteiligung. Kam für mich nicht in Frage. Da wollte ich lieber weiter vor mich hin brödeln. Trotzdem denke ich mit Wärme und einer gewissen Verbundenheit an diesen ersten Verlagsmenschen, der an mich glaubte, und den man sich keinesfalls als Heiratsschwindler für verzweifelte, altledige Autorinnen vorstellen darf.

Die zweite Nuss fiel mir dann Monate später in Form einer E-Mail aus der Schweiz vor die Nase. Eine Frucht, die tatsächlich aus der Saat der etwa drei Duzend unaufgefordert eingesandten Manuskripte hervorgegangen war, und in der ein rot-weißes Ballkleid steckte – mit endlos langer Schleppe, die zurück bis Gutenberg und der ersten Druckerpresse in Basel reichte. Damit tanzte ich durch Frühjahr und Sommer und stand bereits am Altar, um die glückliche Deutsch-Schweizer Verbindung endlich zu besiegeln, als es hinter mir rief: „Haltet ein!“ und mir eine unsichtbare Gestalt ein drittes Nüsslein in die Hand drückte.

Das dritte Nüsslein sprang auf und ein schlichtes Brautkleid von hoher Qualität kam zum Vorschein, das mir keine Wahl ließ, einzig eine gewisse Gewissensqual… Der Überbringer des späten Nüssleins entschuldigte sich damit, dass er den ganzen Vorgang „verlegt habe“. Nomen est omen. Schwäbische Traumhochzeit. Vorhang.

Kleine Absagentypologie

Nach der Sache mit dem Postkasten ging die Warterei los. Warten. Warten. Warten. Und dann kam das:

Keine Antwort, mit Ankündigung

Wusste man vorher schon, wegen dieses Satzes auf der Verlagswebseite: „Wenn Sie nicht innerhalb von sechs Monaten von uns gehört haben, dann gehen Sie bitte davon aus, dass wir nicht interessiert sind.“ Ach so.

Keine Antwort, ohne Ankündigung

Bei allem Verständnis für die armen Individuen, die in den täglichen Waschkörben voll literarischer Ergüsse zu ertrinken drohen, halte ich das für ungezogen. Bei Schweizer Verlagen passiert einem das übrigens nie. Nie. Im Zeitalter der elektronischen Post dürfte sich der Aufwand, den man betreiben muss, um ein Mindestmaß an höflichen Umgangsformen zu wahren, in zumutbaren Grenzen halten.

Der Standardabsagetext

Da hätten wir die Variante 1a, Typ amtliche Mitteilung, nüchtern und formelhaft. Und dann wäre da noch Variante 1b, Sankt Floriansprinzip, freundlich mit Dank, passt nicht in unser Programm, aber vielleicht woanders… Begründungen jeweils Fehlanzeige. Keine Zeit, keine Zeit!

Der herzliche Absagetext

Das gibt es auch: die von Herzen bedauernde, individuelle Absage, die am liebsten eine Zusage wäre. Botschaft: Wir haben’s uns wirklich nicht leicht gemacht! Gut für’s Autorengemüt. Aber auch eine hochkarätige Chance ist halt kein Tor.

Manuskript auf Reisen

Im Sommer 2015 stehe ich vor dem Postkasten Ecke Stadtstraße/Jacobistraße mit einem Stapel Großbriefe in Händen. Es ist heiß und ich bin irgendwie froh, dass kaum jemand an diesem Nachmittag unterwegs ist. Mein Großer tänzelt aufgeregt um den gelben Behälter herum. Ich übergebe ihm den ersten Umschlag, und er stopft ihn in den Schlitz. „Gute Reise!“, ruft er. Zwei, drei Mal macht er das, dann stimmt die Kleine ein: „Reise! Reise!“

Am Morgen neben dem Drucker musste ich plötzlich daran denken, wie tausende andere Menschen in Deutschland praktisch gleichzeitig mit mir gerade Exposés, Leseproben und Anschreiben drucken, eintüten und mit Porto versehen.

Nehmen wir mal an, die 3000 Verlage in Deutschland bekämen jede Woche fünf unaufgefordert eingesandte Manuskripte.

Also, fünf  Unaufgeforderteingesandtemanuskripte (oder gleich: UAEM) pro Woche wären 780.000 UAEM pro Jahr – macht übrigens rund 1,1 Millionen Euro Portoeinnahmen für die Post.

Lieber an alternative Fakten klammern: Jährlich kommen in Deutschland etwa 20.000 belletristische Neuerscheinungen auf den Markt, die Hälfte davon Übersetzungen – bleiben 10.000 echte Neue. Das sind doch gar nicht so wenige. Gute Reise, gute Reise!

Dummerweise sind das in den wenigsten Fällen UAEMs. Mein Lieblingszitat dazu stammt von dem ehemaligen Leiter eines großen Münchner Verlags, der auf die Frage, wieviele dieser ungebetenen Manuskriptvorschläge er denn in seinem langen Verlegerleben veröffentlich habe, antwortete:

„Vier in vierzig Jahren – wenn es hoch kommt.“

Damit lag er sogar noch über der „Erfolgsquote“ von 1:4000, die an anderer Stelle kolportiert wird.

Und trotzdem steht man da und sieht die Umschläge im Schlitz verschwinden und hofft, dass man es vielleicht doch unter die zwei bis drei Werke schafft, die in diesem Jahr dem UAEM-Schredder entgehen.

Ein Traum wird wahr

Vielleicht hat sich irgendjemand da draußen mal gefragt, was aus der irren Idee geworden ist, meinen gut bezahlten Managementjob zu kündigen, um Romane zu schreiben.

Um es im Jargon meines alten Lebens zu sagen: Meilenstein Nummer eins war bereits nach zwei Jahren auf meiner 60%-Stelle als Schriftstellerin erreicht: ein fertiges Manuskript. Und wie es so vollendet vor mir auf dem Bildschirm flimmerte, wollte ich es dann doch auch gedruckt sehen!

Bedingung: ein „richtiger“ Verlag sollte es sein – kein Self-publishing, kein Druckkostenzuschussverlag, kein Copy-Shop…

Tatsächlich fanden sich nach einer gewissen Durststrecke, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, gleich zwei interessierte ernstzunehmende Verleger. Es wird also wahr: im August oder September erscheint mein Debüt im Herbstprogramm 2017 bei Klöpfer & Meyer mit Sitz in Tübingen.

Und weil ich mich so dolle freue, will ich es in die ganze Welt hinausjauchzen! Zum Glück muss ich mich dafür nicht auf eine Kiste auf dem Freiburger Münsterplatz stellen, denn die Digital-Ureinwohner des Webs haben ja das Bloggen erfunden. Für alle, die sich mit mir freuen wollen oder die sich einfach dafür interessieren, wie das denn nun so geht mit dem Roman, ist dieser Blog.