Spieglein, Spieglein

Schreiben ist eine schöne künstlerische Tätigkeit, weil man dabei selbst nur sehr mittelbar in Erscheinung tritt. Bis zu dem Tag, an dem der Verleger sagt, er bräuchte da mal ein Foto für den Verlagskatalog und für die Pressearbeit und überhaupt.

Also erstmal die eigene Foto-Library durchforstet und festgestellt, dass ich auf den 10.000 Bildern der letzten zwei Jahre gerade mal 100 mal zu sehen bin, davon zu 98% mit mindestens einem Kind im Schlepptau. OK.

Bevor ich zu sehr ins Grübeln gerate, was das über mein gegenwärtiges Leben aussagt, schnell drangesetzt und recherchiert, wie sich denn die anderen Schneewittchen hinter den sieben Bergen so präsentieren.

Es treten auf: das bedeutungsschwangere Schwarz-weiß-Klischee mit in die Ferne schweifendem Blick, die Hipsterin in ihrem urbanen Habitat (das muss doch Berlin sein, mindestens?), gerne auch im total angesagten Depri-Look. Ganz beliebt auch: die Hand im Gesicht – unter dem Kinn, an der Wange, einhändig oder beidhändig. Und nicht nur im Self-publisher-Bereich zu finden: mit den Insignien der Schriftstellerei ausgestattete Geschöpfe, vor dem Bücherregal, hinter der Schreibmaschine oder gleich mit dem Füller in der Hand.

Für einen Moment überlege ich, ob es vielleicht cool wäre, mich mit Hammer, Meißel und Marmorplatte ablichten zu lassen, verwerfe den Gedanken aber als unauthentisch…

Eine Dame aus den vorderen Reihen der deutschen Autorenschar erregt meine besondere Aufmerksamkeit. Nicht nur die erkleckliche Menge an Anschauungsmaterial, das es von ihr gibt, macht sie zu einem interessanten Studienobjekt. Mir fällt auf, dass sie fast auf jedem Foto die verschiedensten Abstufungen von Blau trägt, wegen der Augenfarbe, klar. Ich muss lächeln, denn mein Held Harald macht das ganz genauso… Aber es geht noch besser: das Cover ihres neusten Buches und das Design der dazugehörigen Webseite – alles blau, bläulich, verblaut, eingebläut.

Mir gegenüber sitzt Anja Limbrunner, die sensationelle Porträtfotos machen kann, und lächelt auch, allerdings eher still in sich hinein, während sie geduldig meinen Ausführungen über an die Wand gestellte Menschen – wahlweise vor Sichtbeton, groben Holzbrettern oder Natursein – lauscht.

Und was soll ich bloß anziehen, das neue rostrote Kleid? Aber sehe ich darin nicht zu blass aus? Und wäre was Blaues nicht doch besser, schon wegen der Augen? Und ich muss unbedingt zum Frisör. Und zur Kosmetikerin, wo ich zuletzt und zum ersten Mal kurz nach meinem 40. Geburtstag war, weil mir wohlmeinende Freunde einen Gutschein zukommen ließen. Natürlich muss ich viel schlafen, keinen Alkohol trinken…

Und dann sagt sie: „Der Hintergrund und das Drumherum ist eigentlich egal. Es geht um deine Persönlichkeit.“

Ach du blaue Neune, denke ich. Was, wenn sich in bester Dorian-Gray-Manier mein Inneres nach außen kehrt? Will das jemand sehen? Oder noch schlimmer, will ich, dass das jemand sieht?


Foto: Anja Limbrunner

Ein Gedanke zu „Spieglein, Spieglein“

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