In Zeiten des Umbruchs

Mit dem Umbruch brechen neue Zeiten an: Verwandlung durch Formgebung, Evolution mit Quantensprung (der in seiner physikalischen Ursprungsbedeutung bei weitem nicht groß ist, wie uns unsere Freunde aus dem Marketing weismachen wollen, dafür umso bemerkenswerter). Text wird zum Buch, bekommt sein Medium, reiht sich ein in die 20.000 belletristischen Neuerscheinungen des Jahres. Damit könnte man eine Bücherschlange vom Siegesdenkmal bis zum Martinstor bauen, die ganze Kaiser-Joseph-Straße entlang.

Mit der äußeren Verwandlung geht eine innere Distanzierung einher, ein Befremden, das noch verstärkt wird durch immer neue Korrekturleserunden, die sich wie konzentrische Kreise verengen, in denen der Sinnzusammenhang zusammenschnurrt auf das Schriftbild einzelner Wörter bis hin zum Einzelzeichen. Der Bleistift fährt die Zeilenenden entlang und stammelt Dadaistisches:

etwas zum Harald Hände üppigen und hin- war nicht gehauen – deutete traum- tat war. auf und der kurz blick- Augen Glaubens- professio- Konzernleitungsbau.

Wiederholung bis zur Bedeutungsentleerung. Am Ende kann man Richtig nicht mehr von Falsch unterscheiden. Höchste Zeit, den völlig zerlesenen Text loszulassen. Jetzt muss er raus, nur noch raus, egal wie! Im Geburtskanal gibt es bloß eine Richtung. Allerdings heißt es drucken statt pressen. Den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen!

Mit etwas Abstand wird sich hoffentlich schon zeigen, dass etwas Ordentliches dabei herausgekommen ist. Die Erfahrung stimmt mich zuversichtlich: Wie schrecklich ungenügend fand ich am Ende meine Doktorarbeit, aber als ich sie nach zehn Jahren einmal wieder zur Hand nahm, war ich höchst erstaunt, dass ich jemals so etwas Gelehrtes von mir gegeben hatte. Oder war ich das gar nicht?