Seezauber

I

Also fahre ich alleine an den See und kippe den Rest meines vollen Herzens hinein zu dem schlechten Gewissen, das schon darin schwimmt. Es gibt ja sonst keinen Ort, wo er hingehört und wo er bleiben könnte. Sicher ist er schwer genug, um alles mitzuversenken, was lange unsinkbar schien. Mir wird‘s ganz leicht werden mit dem See im Rücken. Und auch mit geschlossenen Augen, werde ich am anderen Ufer nichts mehr sehen als Nebel und Berge und Himmel.

II

Heute kann ich ihn sein lassen, deinen See. Den See, von dem du sagst, er sei nicht deiner, den ich zu deinem See gemacht habe, weil er einmal unser See war. Ich kann ihn sein lassen. Und die Berge auch. Die vielleicht deine sind. Aber bestimmt nicht meine.

III

Ich kann Orte verschwinden lassen! Dazu muss ich noch nichteinmal das magische Denken bemühen, das du mir schon vor langer Zeit verboten hast. Bald werden mir die Ausreden an den See zu fahren ausgehen. Auszug. Wegzug. Kann nicht mehr behaupten, ich käm nicht wegen dir und fragte nur, weil es sich so ergibt, ob du vielleicht, ob wir uns.
Frag ruhig, sagst du, es könnte sonst passieren, dass du mir untergehst.
Wie oft hab ich dein Schweigen schon verflucht? Wollt‘ Sätze von dir haben. Doch diesen hättest du behalten sollen. Ich komm nicht wieder, außer du sagst: Komm! Die Orte verschwinden mit den Menschen – wenn einer wegzieht oder untergeht.
Das wär doch schade, sagst du. Ich versteh dich nicht. Oder zu gut.

IV

Ein Zebra ist an den See gekommen. Genau genommen, war es wohl schon lange da. Wir hatten ihm nur andere Namen gegeben. Pferdenamen. Wer eine Rossnatur hat, denkt bei Hufgetrappel an Pferde. Jetzt hilft nur noch eine Rosskur, aber vielleicht nicht mal mehr die. Pfui! Schäm dich, so zu denken. Siehst du, noch immer leidest du an Allmachtsphantasien und meinst, mit deinen Gedanken den Lauf der Welt beeinflussen zu können.

V

Ich hab im See nach dem schlechten Gewissen getaucht. Da standest du schon am Ufer. Du, vor dem dunklen Wald. Ich nahm dein Bild mit hinunter. Das Wasser war trüb. Nichts zu sehen. Dann erst schwamm ich dir nach, schwamm auf dich zu. Du mit den Füßen im Kies, hell vor dem dunklen Wald, ich vorsichtig balancierend über die glitschigen Steine. Etwas Misstrauisches hat sich auf meine Haut gelegt. Deine Hand auf meinem Rücken hat es nicht weggewischt, sondern eingerieben. Wir haben beide wieder ans Küssen gedacht. Die Fähre musste ich dreimal nehmen, weil du dich bei mir vergessen wolltest. Das Zebra hat den Kopf geworfen und mich vorwurfsvoll angesehen.